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Buttenhausen, mein kleines Jerusalem (III)
Zum Jahreswechsel 99/2000 erhielt ich von Herrn Deigendesch die endgültige Liste aller Namen, die auf der Tafel erscheinen sollen.
Er hatte noch einmal ausgiebig recherchiert, wobei klar ist, daß durchaus noch der eine oder andere Name auftauchen kann, der dazugehört. Deshalb habe ich unten noch Platz gelassen. Bei der
technischen Ausführung gab es Probleme. Zuerst hatten wir ja an eine zweisprachige Liste auf Deutsch und Hebräisch gedacht; bald war jedoch klar, daß der Aufwand in keinem Verhältnis zur Sache stehen
würde. Selbst beim rein deutschen Text war die Gravierwerkstatt leicht überfordert und lieferte am Ende, als alle Mißverständnisse beseitigt schienen, noch den Text einer überholten Fassung, was mir
leider erst ein halbes Jahr nach Bezahlen der Rechnung auffiel. Es stehen nun einhundertzwölf Namen auf der Platte, statt einhundertneun.
Seit die fertige Tafel in meiner Wohnung stand, ließ mir
die Geschichte keine Ruhe mehr. Die Menschen wurden in meinen Träumen lebendig, wanderten durch Buttenhausen, stellten sich in Reihe und verschwanden wieder in der Gravur. Ich begriff, daß ihre Namen,
wenn sie nach sechzig Jahren wieder ins Gedächtnis von Buttenhausen zurückkehren, nicht ins Museum gehören. Vielleicht später. Aber gerade jetzt, wo man im Reutlinger SSV-Stadion den sportlichen Gegner
wieder nach Auschwitz wünscht, sollte wenigstens in meinem Wirkungsbereich ein lebendiges Mahnmal zustande kommen, dessen Geist sich in starkem Kontrast dagegen abhebt. Ich erwog deshalb einen Termin
möglichst noch vor den Totengedenktagen und einigte mich mit der Stadt auf den 12. November, die Namen der Öffentlichkeit vorzustellen. Zum Programmablauf des Festakts schlug ich vor, nach den Reden und
der Musik gemeinsam vom Bürgersaal zum Judenfriedhof zu gehen, und dort als befristete Installation die Namen auf Holzpflöcken in den Wegrand zu schlagen. Herr Deigendesch hielt nichts von einer
derartigen »Via Dolorosa«. Mir wurde klar, daß ich meinem Traum unter Umständen allein Gestalt geben musste. Ich kaufte das Holz und fertigte eine Palette voll kleiner Einzeldenkmäler. Frau Sylvia
Stein als neu gewählte Vorsitzende des Ortschaftsrats in Buttenhausen bat ich um wohlwollende Unterstützung, die mir leider nicht zuteil wurde. Sie ersuchte mich stattdessen, meine Kunst außen vor zu
lassen. Man sei überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen, daß da jetzt wieder ein neues Denkmal kommt. Herr Ott habe seinen Ortschaftsrat schlecht informiert, mit ein Grund übrigens für seine Abwahl.
Mit der Tafel im Museum sei man einverstanden, nicht aber mit einer Installation am Weg zum Friedhof, man habe genug Denkmäler am Ort und wolle kein »kleines Berlin«. Schließlich sei keiner dieser Leute
in Buttenhausen umgekommen oder hier begraben. Dies sei der einstimmige Beschluß des Ortschaftsrats. So endete der Anruf von Frau Stein im Spätsommer 2000. Auf meine ausführlichen Schreiben an jede/n
einzelne/n der sechs Ortschaftsräte kam keine einzige Antwort.
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Aus “Holzweg” - die Holzpflöcke mit den Namen der Opfer “aufgebahrt”
Ich hielt es für angebracht, den Stand der Dinge nun der örtlichen Presse zu
berichten. Es erschien ein Artikel im Alb-Boten, der ziemlich rasch auch andere Medien auf den Plan rief. Aus Presse und Rundfunk erfuhr ich u.a.,
daß mein Ansinnen in Buttenhausen als »völlig überzogener Humbug« gehandelt wurde. In Münsingen verwahrte man sich gegen »Aktionismus« und machte aus einem »hinteren Zimmer« gar ein »verstaubtes Museum«.
Lichtjahre künstlich erzeugter Distanz klafften zwischen Wiesaz und Lauter. Was hatte ich da nur angerührt? Wie sollte ein derartig humorloses Gezänk in einer versöhnlichen Feier enden?
Inzwischen hatten sich einige Menschen an mich gewendet und versprochen, beim Aufstellen der Pflöcke zu helfen. Bettina Beutler machte sich Gedanken, wo man danach zusammenkommen könnte. Herr
Weippert, der Heimleiter vom »Haus am Berg«, einer diakonischen Einrichtung in Buttenhausen stellte die Teestube zur Verfügung, um den 12. November bei Most und Zwiebelkuchen ausklingen zu lassen.
Bürgermeister Mike Münzing rief an und warnte noch einmal, mit den Holzpflöcken bitte »kein Porzellan zu zerschlagen«. Zusammen mit Christiane Zeul erarbeitete ich in zehn Proben ein Musikprogramm. Die
Spannung der Veranstaltung wollten wir in eine Kraft umwandeln, die den Blick auf das Wesentliche, auf das Gemeinsame lenkt. Ich schrieb an den
Landrat Dr. Wais und an Dekan Poguntke, die ich um Vermittlung bat. Herr Pfarrer Dr. Oswald hatte mich vorher schon auf ein Gespräch empfangen
und mir zugesagt, diesen Versuch zu unternehmen; ohne Erfolg. Herr Deigendesch schickte mir den Programmentwurf, aus dem nicht hervorging, ob jemand von der israelitischen Gemeinde an der Feier
teilnimmt. Er bat auch um den Titel des Musikprogramms. Obwohl ich zuvor klar und deutlich geschrieben hatte, daß für diesen Beitrag ein Honorar
fällig wird, wurde kein Wort darüber verloren. Deshalb bezifferte ich den Wert der Uraufführung mit zwei Musikern inclusive aller Nebenkosten wie
Fahrtspesen, Umsatzsteuer und GEMA-Gebühren auf sechshundert Mark. Prompt wurden wir auf vierhundert heruntergehandelt. Auch dem fertigen
Programm war nicht zu entnehmen, ob ein jüdischer Vertreter kommt. Am Sonntag, den 12. November gegen 14 Uhr brachte ich die Gedenktafel
zur Bernheimerschen Realschule nach Buttenhausen und fuhr kurz danach mit Pflöcken, Hämmern und Steinen zum Friedhof. Das Material sollte dort
im Wagen bereitliegen. Auch wollte ich zuvor den Kasten für das Besucherbuch an einem größeren Pflock anbringen. Da fiel mir auf, daß
der Pferdezaun, der die Jahre zuvor oben auf der Böschung verlief, heute provisorisch verdoppelt war und in seiner Erweiterung ganz unten am Weg entlangführte.
»Do kommt koe Pflock rae,« wurde ich auch schon angesprochen, und zwar vom Grundstückseigentümer der angrenzenden Wiese, der sich mit Loser, Reinhold zu erkennen gab. Er fühlte sich wieder einmal von der
Stadt hintergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt. Aus der Zeitung habe er es erfahren, man habe ihn nicht gefragt. In der Tat hatte ich dies
nicht für nötig gehalten und ich entschuldigte mich bei ihm für das Versäumnis. Als ich ihm erklärte, ich sei gar nicht von der Stadt, und ihm
schriftlich versicherte, die Installation zum Jahresende wieder abzubauen, wurde er freundlicher.
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