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Buttenhausen, mein kleines Jerusalem. (I)
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Aufgewachsen 1953-70 in Hundersingen, lebte ich meine Kindheit in
enger Nachbarschaft zu Buttenhausen. Hier kaufte man im »Konsum« ein, beim Bäcker gab es Brezeln und Eis für zehn Pfennig, beim Metzger
Wurschträdla umsonst. Hier war die Autowerkstatt, der Flaschner, zwei Friseure, die Kinderstunde, der Posaunenchor, der Sportverein; zu den Bundesjugendspielen kamen die Buttenhausener nach Hundersingen.
Während meiner Schulzeit am Münsinger Progymnasium kam ich etwa dreitausendmal durch Buttenhausen. Aber der Regenbogen war irgendwie
unvollständig, da fehlte eine Farbe. Heute ahne ich, woran das lag: Keiner sprach von den Juden, die noch knapp vor meiner Zeit hier gelebt hatten. Ich war ins Schweigen geboren.
Bild aus”Holzweg” - Denkmal Ortsmitte 1961
Nur zögerlich sickerten die ersten Informationen durch. Wo der »Konsum«
gestanden hatte, setzten Überlebende aus aller Welt ihren ermordeten Schwestern und Brüdern 1961 ein Denkmal. Fünf Jahre später nahm mich mein Vater mit zur Enthüllung des Gedenksteins am Platz der
abgebrannten Synagoge. Ich erlebte Professor Karl Adler aus Amerika, der als gebürtiger Buttenhausener wiedergekommen war um uns mitzuteilen: »Wer seine Heimat verloren hat, weiß erst, was Heimat
wirklich bedeutet«. Nach weiteren vier Jahren, als Siebzehnjähriger, hatte ich das Glück, mit der ersten deutschen Jugendgruppe nach Israel reisen
zu dürfen, die der frischgebackene Staat offiziell zu einem künstlerischen Austausch mit Gleichaltrigen in Jerusalem empfing. Auf diesem »Art
Camp« sang ich mein erstes eigenes Lied über den Radiosender: »Much to Do«. Kaum jemand von den jungen Israelis hatte einmal »Oma« oder »Opa« sagen können. Die Eltern waren als letzte Überlebende ihrer
Familien aus dem brennenden Europa ins »gelobte Land« geflüchtet, um hier neu anzufangen mit einem Selengepäck, das sich jeder Begrifflichkeitentzieht.
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Bild aus “Holzweg” - Karl Adler
Karl Adler hatte zur Einweihung des ersten Denkmals in Buttenhausen
gesagt: »Wir wollten von unseren Schwestern und Brüdern das zurückbringen, was zurückgebracht werden konnte: Die Namen der Toten«. Das waren damals dreiundvierzig. Günter Randecker hat während
seiner Amtszeit im Münsinger Stadtarchiv eine Liste mit fast hundert weiteren Namen von jüdischen Bürgern zusammengestellt, die in
Buttenhausen gelebt hatten, bevor sie in Vernichtungslager verschleppt, zu Nummern herabgedemütigt und ermordet wurden, um dann in Massengräbern und Krematorien spurlos zu verschwinden. Der Weg zum
Friedhof, zu einem ordentlichen Begräbnis blieb ihnen verwehrt. Keine Inschrift erinnerte an sie.
Im Rahmen meiner Kandidatur 1997 für das Bürgermeisteramt in Münsingen
machte ich auf diese liegengebliebene Hausaufgabe aufmerksam. Zusammen mit Revital Herzog gravierte ich die mir damals bekannten Namen auf Deutsch und Hebräisch in Kupfer. CHC Geiselhart druckte die
Radierung in einer Auflage von dreißig Exemplaren. Der Erlös sollte einem Mahnmal für die Vergessenen zufließen. Der erste, dem ich meinen Plan
unterbreitete, war Herr Walter Ott, damals noch langjähriger Ortsvorsteher in Buttenhausen. Ich bat ihn um Unterstützung, stieß aber auf kein
Entgegenkommen. Unter den ersten Käufern waren der ehemalige und der jetzt amtierende Bürgermeister von Münsingen, die Herren Keller und
Münzing. Letzterer beauftragte Herrn Deigendesch vom Stadtarchiv, eine möglichst vollständige, amtliche Liste der betreffenden Personen zu erstellen und gemeinsam mit mir umzusetzen.
Als mich Herr Deigendesch in Gönningen besuchte, um das Projekt zu konzipieren, wollte er für die Stadt ein kostenloses Belegexemplar der
Grafik mit der Begründung, die Namen auf dem Blatt entstammten einer Quelle seines Archivs. Diesen Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen. Mein
Ziel war es ja, einen möglichst hohen Betrag für die Gestaltung des Denkmals zu sammeln. Auch wollte ich die Wertschätzung der künstlerischen Arbeit nicht untergraben. Herr Deigendesch brachte drei
Blätter in die Buchhandlung Schatz nach Münsingen, wo auch bald ein Exemplar über den Ladentisch ging, nämlich dasjenige fürs Amtszimmer
des Bürgermeisters. In den darauf folgenden zwei Jahren fand sich in Münsingen kein Käufer mehr.
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